Ausbeutung oder Wie man die Oberfläche durchbricht
2019/20, 15 Minuten, inszenierte 5-Kanal-Videoinstallation.
(Textauszug von Claudia Emmert aus, Der Nachhall des Berggeschreys im digitalen Zeitalter. Eine künstlerische Recherche zum Annaberger Bergaltar)
Die Mondlandschaften sind geblieben. Ganz gleich, ob man die Hügel auf dem rückseitigen Gemälde des Annaberger Bergaltars betrachtet oder Bilder der modernen Abbaugebiete für strategische Rohstoffe: Die Landschaften präsentieren sich immer ähnlich. Aus dem einzigartigen Bildprogramm des Altars von Hans Hesse wurde eine Videoarbeit entwickelt, die vom Bergbau im Erzgebirge zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausgeht und seine globalen Auswirkungen bis in unsere Gegenwart nachzeichnet. Von Annaberg in Sachsen bis nach Potosí in Bolivien.
Es geht um den Wandel der Bedeutung von Arbeit und Beruf, und damit auch um Machtverhältnisse und unterschiedliche Formen der Ausbeutung. Hinterließen die Bergleute auf der Suche nach den Silberminen ihre Spuren in der Landschaft und unter Tage, hinterlassen wir heute auch digitale Spuren. Damals brachte das Silber den Reichtum, heute gelten neben seltenen Erden, Erzen und Öl auf auch Daten als wichtiger Rohstoff - vielleicht sogar als der wichtigste. Denn Data-Mining, das Beschaffen und Auswerten großer Datenmengen, wird immer mehr zur Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren in Wirtschaft und Politik.
Die Forschungsreise der Restauratorin beginnt mit der Analyse des Annaberger Bergaltars. Zunächst untersucht sie die Oberfläche des Bildes, bis sie sich immer mehr mit seinem Inhalt auseinandersetzt. Sie verfolgt die Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte, arrangiert die Gleichzeitigkeit der Schilderungen des Malers Hans Hesse zu einem Index der Arbeitsprozesse. Dazu schneidet sie die Figuren aus der fotografischen Reproduktion des Altars aus und gruppiert sie auf einer Wand. Im Archiv auf dem Dachboden des Erzgebirgsmuseums, gegenüber der Kirche gelegen, findet sie Werkzeuge, die auch auf dem 500 Jahre alten Gemälde abgebildet sind. Dann beginnt sie, die einzelnen Tätigkeiten auch körperlich nachzuvollziehen und sich so in die im Altarbild eingefrorenen Bewegungen einzufühlen. Schon damals war es wichtig, die Bewegungsabläufe zu trainieren, um die Effizienz zu steigern und den Ertrag der Arbeit zu optimieren.
Die protestantische Ethik besagt laut Weber, dass der Mensch nur dann gottgefällig lebe, wenn er fleißig und strebsam ist. Geistlichen und weltlichen Berufen kam folglich vor Gott dieselbe Bedeutung zu. Weber führt diesen einschneidenden Wandel auf das gestiegene Handelsvolumen der Zeit zurück. Dennoch: ein sozialer Aufstieg war in der Ethik Luthers nicht vorgesehen. Im Gegenteil. Jeder sollte dort bleiben, wo Gott ihn hingestellt hatte: "Und bleibe in deinem Beruf" heißt es in seiner deutschen Übersetzung der Bibel.
Eine künstlerische Recherche zum Annaberger Bergaltar (H. Hesse, 1521) von Emerson Culurgioni, Paula Abalos, Charlotte Eifler, Deborah Jeromin, Mikhail Tolmachev und Clemens von Wedemeyer
Galerie Wolff auf der Art Basel 2022
http://www.galeriewolff.com/media/pages/exhibitions/art-basel-2022/012bc9625a-1655298045/artbasel_2022_preview_compressed-3.pdf
https://www.artbasel.com/catalog/gallery/1132/Galerie-Jocelyn-Wolff?lang=de
Text by the gallery regarding the work
The 1521 painting by Hans Hesse of the Annaberg mountain altar shows in a realistic style scenes of the everyday mining routine in the Erzgebirge.
The pictorial and intellectual world of this medieval work of art is the starting point for a large video installation by Paula Ábalos, Emerson Culurgioni, Charlotte Eifler, Deborah Jeromin, Mikhail Tolmachev together with Clemens von Wedemeyer.
“Our reaction to the image (1521 painting by Hans Hesse) is a new work and is titled: ‘Exploitation, or how to break the surface’.
It is an artistic research, which starts close to the material part of the picture and tries to understand connections of the picture in today’s world through the protagonist – a restorer.
A media history also becomes visible: from painting to photography and the moving image to dematerialisation or transformation in digital media.
In this way we want to make visible connections of the exploitation of raw materials and its costs. With this approach we try to question the past identity of mining in Saxony for its validity.”
It starts with the back of the Annaberg altarpiece, painted by Hans Hesse around 1522–1523, on which the various stages of mining, then this part of Saxony’s main industry, are described. A rare historical snapshot of the world of work, to which it owes its current fame.
Here, there is a dual goal: going back and forth to explore the representation of work and the work of representation, and the other side of things such as invisibilities.
It is about unpacking, questioning and, decisively, updating.
An exploration of the gaze across five screens, in the manner of a medieval altarpiece, in turn isolating and connecting the images, spaces and gestures of yesterday and those of today, the back from the front, the top from the bottom.
An invitation to explore the space of fabrication of images with one’s toolbox, from box cutter to digital simulation.
And to lead us in the dance, providing sensual, dialectic movement, like these heady sounds that play throughout the work, a sort of symphony of noise that deploys its own echoes.
From mine to images, breaking the surface, as the title suggests.